Bitte beachten Sie: Das hier veröffentlichte Essay stellt lediglich einen kurzen Auszug meiner 120 Seiten umfassenden Masterthesis dar. Das Thema der Masterthesis lautet: „Konzeptionierung eines Onboarding-Programms für Leiharbeitskräfte“. Die Masterarbeit wurde mit der Bestnote 1.0 bewertet und erhielt zusätzlich ein Empfehlungsschreiben.
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Die Beschäftigungsform der Arbeitnehmerüberlassung ist ein wichtiger Baustein zur Sicherstellung der Flexibilität und Wirtschaftlichkeit eines Landes. Allerdings wurde das Thema Einarbeitung von Leiharbeitskräften in den Entleihbetrieben bisher weder in der Forschung, noch in der Praxis ausreichend berücksichtigt. Die vorliegende Masterarbeit hat daher das Ziel, einen Onboarding-Leitfaden speziell für Leiharbeitskräfte zu konzipieren, der von den Entleihbetrieben unter Berücksichtigung des Kosten- und Zeitfaktors umgesetzt werden kann. Um die Thematik hinreichend untersuchen zu können, wurden mit unterschiedlichen Vertretern*, die direkt am Einarbeitungsprozess von Leiharbeitnehmenden beteiligt sind, qualitative Experteninterviews geführt. Ausgehend von ihren Aussagen wurde ein Onboarding-Programm konzeptioniert, das von Entleihbetrieben kosten- und zeitsparend umgesetzt werden kann. Um die Thematik zu veranschaulichen, wurden beispielhaft verschiedene Komponenten eines solchen Onboarding-Programms erstellt.
Aufgrund der zunehmenden Forderung von Unternehmen nach flexiblen Personallösungen, steigt der Anteil von Leiharbeitskräften in den Abteilungen stetig. Im Jahr 2015 erreichte diese Form der Beschäftigung mit 951.000 Leiharbeitnehmenden ihren bisherigen Höchststand (Bundesagentur für Arbeit, 2016). Permanenter Kosten- und Zeitdruck veranlasst die Unternehmen dazu, Personal schnell und flexibel einzusetzen. Das Thema Onboarding von Leiharbeitskräften fand jedoch bisher weder in der Forschung, noch in der Praxis hinreichend Beachtung.
Diesem Einführungskapitel folgt zunächst die inhaltliche Abgrenzung und Definition der grundlegenden Begriffe. Anschließend werden innerhalb des theoretisch-konzeptionellen Rahmens die Rechte und Pflichten der Beteiligten untersucht, um das Beschäftigungsmodell der Arbeitnehmerüberlassung zu verstehen und die Verantwortlichkeiten der Akteure zu kennen. Dieses theoretische Konstrukt stellt damit die Grundlage des Einarbeitungsplans für Leiharbeitskräfte dar.
In Kapitel 3 wird die gewählte Forschungsmethode vorgestellt und erläutert. Dabei wird auf die Gütekriterien und die Prinzipien der qualitativen Forschung näher eingegangen. In diesem Kapitel wird ebenfalls die Durchführung der Interviews, sowie deren anschließende Datenauswertung nach Mayring (2002) erläutert.
Das vierte Kapitel fasst die Ergebnisse aus den Interviews zusammen. Der Schwerpunkt liegt dabei auf überraschenden, sowie für das Onboarding-Programm nützlichen Erkenntnissen und Aussagen der ExpertInnen.
Im fünften Kapitel wird das Onboarding-Konzept für Leiharbeitskräfte von einem „klassischen“ Onboarding-Programm für zukünftige Festangestellte abgegrenzt. Anschließend wird das Onboarding-Programm beispielhaft von der Konzeptionsphase bis hin zum Einsatzende der Leiharbeitskräfte vorgestellt. Auch die Schwierigkeiten, die bei der Erstellung und Implementierung eines solchen Konzepts auftreten können, werden in diesem Kapitel behandelt. Abschließend werden Handlungsempfehlungen für Entleihbetriebe dargestellt, die sich aus den Gesprächen mit den Experten herauskristallisierten.
Das sechste und letzte Kapitel fasst die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit zusammen und gibt einen Ausblick auf die zukünftige Entwicklung zur Einarbeitung von Leiharbeitskräften.
Definition und begriffliche Abgrenzung
Für die erfolgreiche Konzeptionierung und Implementierung eines Onboarding-Konzepts für Leiharbeitskräften ist eine umfassende Auseinandersetzung mit der Thematik der Arbeitnehmerüberlassung (ANÜ) notwendig. Dazu müssen zunächst die hierfür grundlegenden Begriffe voneinander abgegrenzt, sowie deren Verwendung im theoretischen Kontext erläutert werden.
1.1.1 Arbeitnehmerüberlassung
Die gewerbliche Überlassung von Arbeitskräften hat in der betrieblichen Praxis viele Namen. So reichen die Begrifflichkeiten von der ANÜ zum Personalleasing über Zeitarbeit bis hin zur Leiharbeit (Gutmann & Kilian, 2013; Ulber, 2015). Oftmals werden diese Begriffe in ihrer Bedeutung synonym verwendet, nicht jedoch in ihrer Interpretation. Während agierende Arbeitnehmerüberlassungsfirmen versuchen, den Begriff der Zeitarbeit zu etablieren, verwenden Gewerkschaften bewusst den Begriff der Leiharbeit sowie der Leiharbeitnehmenden. Das Ziel der Akteure ist hierbei, dieses Arbeitsmodell mithilfe der Konnotation der Begriffe, mit einer gewissen positiven bzw. negativen Interpretation zu belegen (Gutmann & Kilian).
Der von gewerkschaftlicher Seite konsequent genutzte Begriff der Leiharbeit zielt hierbei auf die Definition des Begriffs der „Leihe“ (Haldenwang, 2008), wonach laut § 589 des Bürgerlichen Gesetzbuches ein Gebrauchsgegenstand unentgeltlich an Dritte verliehen wird. Obwohl dies bei der ANÜ nicht zutrifft, hat sich der Begriff der Leiharbeit dennoch weitestgehend im deutschen Sprachgebrauch etabliert und findet im deutschen Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) insoweit Anwendung, als das die beteiligten Akteure als Leiharbeitnehmer, als Einsatzbetrieb sowie als Verleiher bezeichnet werden.
Die Verleihbetriebe hingegen versuchen den neutralen Begriff der Zeitarbeit zu etablieren. Als Begründung für diese Verwendung wird angegeben, dass es sich hierbei um eine stimmige Übersetzung des international gebräuchlichen Begriffs der „temporary work“ handelt (Gutmann & Kilian, 2013). Parallel zum Ausdruck der Zeitarbeit bezeichnen die Verleihbetriebe ihre Mitarbeitenden daher als ZeitarbeiterInnen (Schwaab, 2009).
Die Beschäftigungsform selbst wird im AÜG als ANÜ bezeichnet. Zwar beinhaltet das AÜG keine konkrete Definition des Begriffs der ANÜ, jedoch gibt § 1 Abs. 1 Satz 1 und 2 AÜG eine Beschreibung des Prozesses der AÜN wieder: „Arbeitgeber, die als Verleiher Dritten (Einsatzbetrieb n) Arbeitnehmer (Leiharbeitnehmer) im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit zur Arbeitsleistung überlassen wollen, bedürfen der Erlaubnis. Die Überlassung von Arbeitnehmern an Einsatzbetrieb erfolgt vorübergehend [Hervorhebung v. Verf.].“
Da dieser Paragraph in der betrieblichen Praxis zu Unsicherheiten führte, wurde er durch das Bundesarbeitsgericht konkretisiert. So liegt laut Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts vom 03.12.1997 eine ANÜ vor, wenn ein Arbeitgeber seine Mitarbeitenden Dritten, auf Grundlage einer Vereinbarung zur Verfügung stellt, wonach das entleihende Unternehmen diese Mitarbeitenden wie eigenes Personal einsetzen kann (Pollert, 2011). Ein weiteres Merkmal dieses Prozesses ist, dass die Überlassung vorübergehend zu erfolgen hat. Allerdings liefert das Gesetz an dieser Stelle keine Information darüber, wie der Begriff vorübergehend definiert ist. Diese rechtliche Grauzone führte in der Vergangenheit zu großer Unsicherheit sowohl seitens der Zeitarbeitsfirma, als auch besonders auf Seiten der entleihenden Unternehmen, da der Betriebsrat seine Zustimmung für den Einsatz von LAK verweigern kann, wenn der Einsatz länger als vorübergehend ist. Nach derzeitiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts wird unter einer vorübergehenden Einsatzdauer verstanden, dass die Überlassung „im Voraus zeitlich begrenzt“ erfolgen muss (Bundesarbeitsgericht, 2013). Demzufolge ist dieser Begriff bisher nicht auf eine zeitliche Dimension festgelegt und die LAK können mehrere Jahre bei einem Entleihunternehmen beschäftigt werden, ohne das der vorübergehende Charakter der ANÜ verletzt wird (Pollert, 2011). Diese Problematik soll allerdings mit dem neuen Gesetzesentwurf der Bundesregierung zum 01. Januar 2017 gelöst werden. Mit der Änderung des AÜG soll demnach die Höchstüberlassungsdauer von LAK bei demselben entleihenden Unternehmen auf 18 Monate beschränkt werden (Bundesregierung, 2016). Durch Betriebsvereinbarungen oder Tariföffnungsklauseln sind Ausnahmen zwar weiterhin möglich, allerdings nur bis zu einer Dauer von maximal 24 Monaten (Bundesregierung, 2016). Anhand der dargestellten Erläuterungen wird nachfolgend für die Beschreibung dieses Beschäftigungsmodells der Begriff der ANÜ, gemäß §1 Abs.1 Satz 1 und 2 AÜG verwendet.
Zusätzlich zur Definition der ANÜ gehört auch die Unterscheidung zwischen der gewerbsmäßigen, der sogenannten unechten ANÜ, sowie der echten, der gelegentlichen, ANÜ. Der Begriff der gewerbsmäßigen ANÜ beschreibt einen Vorgang, wonach ein Arbeitgeber die bei ihm angestellten Mitarbeitenden an ein anderes Unternehmen gegen Entgelt „verleiht“. Im Vordergrund steht hierbei die Gewinnerzielungsabsicht (Gutmann & Kilian, 2013). Das bedeutet, der Zweck der ANÜ besteht für das verleihende Unternehmen darin, einen geldwerten Nutzen, der auch in Form von Wettbewerbsvorteilen entstehen kann, zu erreichen (Pollert, 2011). Da die Gesetze des AÜG ausschließlich den Einsatz der unechten ANÜ regeln und die in dieser Arbeit durchgeführten ExpertInneninterviews alle im Zusammenhang mit der gewerbsmäßigen ANÜ stehen, wird nachfolgend der Begriff der ANÜ synonym zur gewerbsmäßigen Überlassung verwendet.
Vor dem Hintergrund der vielfältigen Beschäftigungsmöglichkeiten, stellt die ANÜ nur eine Möglichkeit von vielen dar, die es Arbeitnehmenden ermöglicht, den Faktor Arbeit individuell in ihr Leben zu integrieren. In Deutschland erfolgt die Einteilung dieser verschiedenen Arbeitsmodelle in typische und atypische Beschäftigungsformen (Statistisches Bundesamt, 2010). Unter einer typischen Beschäftigungsform wird demnach das sog. Normalarbeitsverhältnis verstanden, atypische Beschäftigungen hingegen weichen von diesem Arbeitsverhältnis ab. Das Normalarbeitsverhältnis ist gekennzeichnet durch festgelegte Kriterien wie bspw. einer dauerhaften und unbefristeten Vollzeitbeschäftigung, der Möglichkeit zur kollektiven Vertretung von Interessen durch Betriebsrat und Gewerkschaft, sowie einem regelmäßigen existenzsicherndem Einkommen, inklusive der Integration in die gesetzliche Sozialversicherung (Oschmiansky, Kühl & Obermeier, 2014).
Folglich sind alle Arbeitnehmenden, die aufgrund ihres Arbeitsverhältnisses keine Möglichkeit haben, kollektiv vertreten zu werden, aber auch Arbeitnehmende, die nicht unbefristet eingestellt sind oder aber einer Tätigkeit mit wöchentlich 20 Stunden oder weniger nachgehen, automatisch einer atypischen Beschäftigungsform zuzuordnen. Zudem schließt das Statistische Bundesamt in seiner Definition LAK explizit von einem Normalarbeitsverhältnis aus, da „Ein Normalarbeitnehmer […] direkt in dem Unternehmen arbeitet, mit dem er einen Arbeitsvertrag hat. Bei Zeitarbeitnehmerinnen und ‑arbeitnehmern, die von ihrem Arbeitgeber – der Zeitarbeitsfirma – an andere Unternehmen verliehen werden, ist das nicht der Fall.“ (Statistisches Bundesamt, 2015). Demzufolge sind u.a. neben der ANÜ, auch befristete Beschäftigungsverhältnisse, Teilzeitarbeit sowie Schwarzarbeit den atypischen Beschäftigungsverhältnissen zuzuordnen. Auf diese Weise werden legale Arbeitsverhältnisse mit gesetzeswidrigen Beschäftigungsformen wie der Schwarzarbeit auf eine Stufe gestellt. Zwar stellt das Statistische Bundesamt (2010) ebenfalls klar, dass atypische Beschäftigungen durchaus bewusst gewählt werden können, um persönliche und berufliche Anforderungen besser miteinander vereinbaren zu können, allerdings wird auch darauf verwiesen, dass atypische Arbeitsverhältnisse oftmals nicht den Anspruch erfüllen können, den Lebensunterhalt von Arbeitnehmenden finanzieren zu können (Statistisches Bundesamt, 2010).
Das eine solche Unterscheidung zwischen Normalarbeitsverhältnissen und atypischen Beschäftigungen nicht mehr zeitgemäß ist und neu definiert werden muss, wird bei der Betrachtung aktueller Statistiken, wie in Tabelle 1 dargestellt, deutlich.
Tabelle 1
Anteil der atypischen Beschäftigung an der Gesamtbeschäftigung.
Anmerkungen. Eigene Darstellung in Anlehnung an: Statistisches Bundesamt (2016) unter: https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesamtwirtschaftUmwelt/Arbeitsmarkt/Erwerbstaetigkeit/TabellenArbeitskraefteerhebung/AtypKernerwerbErwerbsformZR.html.
Laut einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung aus dem Jahr 2015 lag die Quote von atypisch Beschäftigten im Jahr 2015 mit 14.126 Personen sogar bei 39% (Hans-Böckler-Stiftung, 2015). Das bedeutet nahezu jede/r vierte Arbeitnehmende geht einem atypischen Beschäftigungsverhältnis nach. Ein besonderes Wachstum wurde hierbei bei der Teilzeitarbeit sowie der Leiharbeit festgestellt. Diese Differenzen in den Statistiken kommen aufgrund der unterschiedlichen Datenerfassung zustande. Während das Statistische Bundesamt erst eine Arbeitszeit von unter 21 Stunden als Teilzeitbeschäftigung wertet, wird in der Erfassung der Hans-Böckler-Stiftung bereits jede kürzere Wochenarbeitszeit im Vergleich zu vollbeschäftigten Arbeitnehmenden als Teilzeit eingeordnet (Hans-Böckler-Stiftung, 2015).
Trotz der Abweichungen in der Erfassung von atypischen Beschäftigungsverhältnissen lässt sich eine langfristige Zunahme dieser Beschäftigungsform nicht verleugnen. In einer Welt, die sich im permanenten Wandel befindet, welcher sich auch auf die Erwerbstätigkeit auswirkt, stellt sich damit die Frage, inwiefern das sog. Normalarbeitsverhältnis heute wirklich noch die Norm darstellt. Aktuelle Studien zeigen, dass besonders die flexiblen Bestandteile der Arbeit, wie bspw. wechselnde Einsatzorte, leistungsgekoppelte Entgeltsysteme und sich verändernde Arbeitsaufgaben, im Sinne der sog. Aufwärtsmobilität, tendenziell stark zunehmen (Minssen, 2012). Doch nicht nur die Arbeit als solches wird immer flexibler, auch die Arbeitnhmenden selbst tragen zu dieser Entwicklung bei, indem sie gezielt nach Beschäftigungsverhältnisse verlangen, die ihnen einen großen Freiraum bei der Gestaltung der Arbeit ermöglichen (Bundesministerium für Familie, Frauen, Senioren und Jugend, 2015; Institut für Demoskopie Allensbach, 2013).
1.1.2 Akteure der Arbeitnehmerüberlassung
Kennzeichnend für die ANÜ sind nicht nur die vertraglichen Beziehungen zwischen den Akteuren untereinander, sondern auch der Vertragsgegenstand selbst. Im Falle der ANÜ sind demnach die LAK, bzw. deren Arbeitskraft, Gegenstand des Vertrages (Lindner-Lohmann, Lohmann & Schirmer, 2012). Aufgrund dieser Besonderheiten gibt es auch innerhalb der ANÜ keine einheitliche Begriffsverwendung für die Akteure. Vielmehr entscheidet der Blickwinkel der jeweiligen Beteiligten über den verwendeten Terminus wie in Abb. 1 deutlich wird.
Abb. 1: Perspektivische Begrifflichkeiten in der ANÜ
(Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an: Gutmann, J. & Kilian, S., 2013, S.165)
Demzufolge sind aus Sicht der Zeitarbeitsfirmen die LAK die eigenen Mitarbeitenden, die ihre Arbeit bei dem entleihenden Unternehmen erbringen. Der Einsatzbetrieb hingegen ist der Kunde, der bei der Zeitarbeitsfirma die benötigten Humanressourcen anfordert. Das Unternehmen, welches Personal zur Verfügung stellt, bezeichnet sich selbst hingegen als Zeitarbeitsfirma.
Für die LAK ergibt sich derweil ein anderes Bild. So ist für sie die Zeitarbeitsfirma zwar der Arbeitgeber, allerdings ist das entleihende Unternehmen der Einsatzbetrieb, in dem die Arbeit verrichtet wird. Ob sich LAK eher als Mitarbeitende der Zeitarbeitsfirma oder des entleihenden Unternehmens zugehörig fühlen, differiert von LAK zu LAK (Thiel, 2016). Entscheidend hierfür ist neben der Wertschätzung die dem LAK entgegengebracht wird, auch der Beweggrund, einer Beschäftigung in der ANÜ nachzugehen. Denn haben sich Mitarbeitende bewusst für diese Art der Beschäftigung entschieden, so werden sie sich eher der Zeitarbeitsfirma zugehörig fühlen, da diese Form der Beschäftigung besser zu ihrem Lebensentwurf passt (Härtl, 2016). Möchten sie aber die ANÜ nutzen, um eine Festanstellung in einem bestimmten Entleihbetrieb zu erhalten, dann fühlen sie sich eher dem Einsatzbetrieb zugehörig, da hierbei die ANÜ nur das Mittel zum Zweck darstellt (Breitscheidel, 2010). In Kapitel 5.5.1 „Commitment – Dilemma“ wird diese Problematik näher beleuchtet.
Aus Perspektive des Entleihunternehmens stellt die Zeitarbeitsfirma den Personaldienstleister dar, der das passende Personal zum richtigen Zeitpunkt in benötigter Anzahl bereitstellt. Die LAK hingegen sind für das entleihende Unternehmen die externen Mitarbeitenden (Gutmann & Kilian, 2013).
Da sich die vorliegende Arbeit an den geltenden gesetzlichen Bestimmungen orientiert und keine politische Positionierung, weder auf gewerkschaftlicher noch auf arbeitnehmerüberlassender Seite darstellt, erfolgt anschließend die Verwendung der Begrifflichkeiten für die Beteiligten gemäß des AÜG. Nachfolgend werden daher Firmen, die ANÜ zur Personalflexibilisierung nutzen, als entleihende Unternehmen bezeichnet. Parallel dazu werden die Mitarbeitenden die im Rahmen der ANÜ tätig sind, als LAK bezeichnet. Konsequenterweise müssten demnach Firmen, die ANÜ anbieten, als verleihende Unternehmen bezeichnet werden. Um Verwechslungen zu vermeiden, werden diese Unternehmen nachfolgend allerdings als Zeitarbeitsfirmen bezeichnet.
1.1.3 Der Begriff des Onboarding
In der Literatur wird der Begriff des Onboarding nicht trennscharf verwendet (Feldman, 1981). So wird Onboarding von einigen AutorInnen synonym zum Begriff der Integration (Schmidt, 2014) sowie zur Einarbeitung (Brenner & Brenner, 2001) verstanden. Auch in der vorliegenden Arbeit werden daher die Begriffe Onboarding, Einarbeitung sowie Integration synonym zueinander benutzt. Das Umsetzen von Integrationsmaßnahmen beschränkt sich allerdings nicht nur auf den Arbeitsbereich der neuen Mitarbeitenden. Vielmehr muss Onboarding als ein ganzheitlicher Prozess verstanden werden, der parallel auf mehreren Unternehmensebenen stattfindet (Engelhardt, 2006). Beteiligte Geschäftsfelder sind demnach neben der Human Resources – Abteilung auch die Geschäftsführung (Lohaus & Habermann, 2015), sowie die jeweilige Führungskraft und die direkten KollegInnen des neuen Mitarbeitenden (Dravoj, 2016). Innerhalb des Onboarding-Prozesses wird zusätzlich zwischen der fachlichen sowie der sozialen Integration unterschieden (Blum, 2010). Während der Fokus bei der fachlichen Integration auf dem Erlernen der Arbeitsaufgabe und den dafür benötigten Kenntnissen liegt, ist das Ziel der sozialen Integration die Aufnahme in das Team sowie die Übernahme der Unternehmenskultur (Becker, 2013). Doch obwohl die Bemühungen des Unternehmens entscheidend für den Erfolg des Onboarding sind (Gutmann & Kilian, 2013), sind auch die Mitarbeitenden selbst für das Gelingen ihrer Einarbeitung verantwortlich. Denn neben den fachlichen Qualifikationen der neuen Arbeitnehmenden, entscheiden auch deren kognitive, sowie emotionale Fähigkeiten über den erfolgreichen Verlauf des Onboarding-Programms (Brenner & Brenner, 2001).
Eine zentrale Rolle spielt dabei die Sozialisation der zukünftigen Mitarbeitenden. Sozialisation meint in diesem Zusammenhang die Anpassung an bestimmte Prozesse und Tätigkeiten, aber auch die Angleichung von Erwartungen (Lohaus & Habermann, 2015). Ausschlaggebend für ein erfolgreiches Onboarding ist neben der Vorsozialisation auch die antizipatorische Sozialisation. Unter diesem Begriff werden alle Erfahrungen zusammengefasst, die maßgebend für die Entwicklung von persönlichen Werten und Normen sind (Engelhardt, 2006). Besonders prägend sind dabei frühe Erlebnisse, die im direkten Umfeld der Person stattfanden. Aufgrund dieser Erlebnisse bilden sich nicht nur Wertvorstellungen und Normen aus, vielmehr wird der Mensch durch die erlebten Situationen in seiner Persönlichkeit, die sich u.a. in Sprache, Umgangsform und Gewohnheiten ausdrückt, definiert (Neuberger, 1991).
Diese Art der Sozialisation beschreibt den Zeitraum vor dem Eintritt in eine Organisation bis hin zum ersten Arbeitstag (Feldman, 1981; Neuberger, 1991). Aufgrund der bereits vorhandenen Wertemuster entwickeln sich während der Zeit vor Arbeitsbeginn bestimmte Erwartungen über die zukünftige Tätigkeit. In dieser „Vor-Eintritts-Phase“ kommt es zum Abgleich der eigenen Werte mit denen des Unternehmens. Zwar besteht in dieser Phase zwischen den zukünftigen Mitarbeitenden und dem Unternehmen lediglich sporadischer Kontakt, allerdings wird dieser auf Seite der Mitarbeitenden besonders intensiv wahrgenommen und beurteilt, da sie noch keine anderen Informationen zu Verfügung haben, mit denen die eigenen Werte abgeglichen werden können. Passen dabei die Werte des Unternehmens nicht zu denen der zukünftigen Mitarbeitenden oder verhält sich das Unternehmen nicht gemäß deren Erwartungen, ist eine erfolgreiche Einarbeitung gefährdet (Engelhardt, 2006). Dieses Wissen ist speziell für die Erstellung eines Onboarding-Leitfadens von enormer Bedeutung, da hier bereits der Grundstein für eine erfolgreich verlaufende Integration gelegt wird (Engelhardt). Das Wissen um die antizipatorische Sozialisation sollte daher genutzt werden, um die Integration positiv zu beeinflussen.
Das Ziel eines erfolgreichen Onboarding-Konzepts ist die vollumfängliche Integration der neuen Mitarbeitenden. Dabei sollen die neuen Mitarbeitenden von sog. Unternehmensexternen zu Unternehmensinternen werden (Bauer, Bodner, Erdogan, Truxillo & Tucker, 2007). Diese sogenannte „Metamorphose-Phase“ (Noe, Hollenbeck, Gerhart & Wright, 2012) gilt als abgeschlossen, wenn neue Mitarbeitende derart integriert sind, dass sie nicht mehr als solche erkannt werden. Onboarding kann demzufolge nur zielführend sein, wenn sowohl die neuen Mitarbeitenden als auch die Organisation die Einarbeitung überhaupt wollen (Becker, 2013). Nachfolgend wird daher der Begriff des Onboarding in der vorliegenden Masterarbeit als ein systematischer Prozess verstanden (Becker, 2013), der es Mitarbeitenden ermöglicht, erfolgreich in der neuen Organisation zu arbeiten (Bauer & Erdogan, 2011) und ihnen darüber hinaus das Gefühl gibt, willkommen zu sein (Watzka, 2014).
Vertragliche Rechte und Pflichten der Beteiligten
1.2.1 Dreiecksverhältnis
Wie bereits dargestellt wurde, liegt eine ANÜ vor, wenn ein Arbeitgeber seine Mitarbeitenden an Dritte vorübergehend entleiht (Ulber, 2015). Hierbei ergeben sich aufgrund der besonderen Vertragskonstellation Überschneidungen in den Zuständigkeitsbereichen, was in der betrieblichen Praxis oftmals zu Problemen führt (Böhm, Henning & Popp, 2013; Gutmann & Kilian, 2013). Anschließend sollen daher die vertraglichen Beziehungen innerhalb des Dreiecksverhältnisses, sowie damit einhergehend die Rechte und Pflichten zwischen den Akteuren erläutert werden.
Die Voraussetzung des Dreiecksverhältnisses stellt der in §12 AÜG geforderte schriftliche Vertrag zwischen der Zeitarbeitsfirma sowie dem entleihenden Unternehmen dar (Gutmann & Kilian, 2013). Aus diesem sog. Arbeitnehmerüberlassungsvertrag leitet sich der Umfang des Weisungsrechts für das entleihende Unternehmen ab. Denn obwohl LAK ihre Arbeitskraft innerhalb des entleihenden Unternehmens einbringen, bestehen zwischen diesen beiden Akteuren zwar keinerlei vertragliche Beziehungen, wohl aber wechselseitige Rechte und Pflichten (Ulber, 2015). Demnach ist der Einsatzbetrieb, also das entleihende Unternehmen, im Bereich Arbeitsschutz gemäß §11 Abs. 6 Satz 1 AÜG insoweit gegenüber den LAK verpflichtet, als dass ihre Tätigkeiten den im Entleihbetrieb geltenden gesetzlichen Regelungen zum Arbeitsschutz unterliegen. Die Fürsorgepflicht hingegen verbleibt weiterhin bei der Zeitarbeitsfirma, auch wenn die LAK ihre Arbeitsleistung nicht in dessen Betriebsorganisation erbringen (Ulber). Direkte arbeitsvertragliche Beziehungen ergeben sich somit lediglich aus dem Arbeitsverhältnis zwischen den LAK sowie der Zeitarbeitsfirma, also dem direkten Arbeitgeber (Ulber). Abgeleitet aus diesem Arbeitsvertrag ergeben sich gegenseitige Ansprüche und Verpflichtungen der VertragspartnerInnen zueinander.
Aufgrund dieser besonderen Situation, die den LAK faktisch mit zwei Arbeitgebern konfrontiert, ist es notwendig, dass das Weisungsrecht zwischen der Zeitarbeitsfirma und dem entleihendem Unternehmen aufgespalten wird. Dies geschieht bei der ANÜ durch eine Übertragung des Direktionsrechts von der Zeitarbeitsfirma auf den Einsatzbetrieb . Hierbei gilt allerdings zu beachten, dass gemäß § 613 Satz 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) eine derartige Übertragung des Direktionsrechtes auf Dritte nur nach vorheriger Zustimmung der Mitarbeitenden gültig ist. Als Zustimmung wird hierbei der vom den Mitarbeitenden unterzeichnete Arbeitsvertrag mit der Zeitarbeitsfirma gewertet (Pollert, 2011). Aufgrund dieser Vertragsbeziehung entstehen lediglich zwischen der Zeitarbeitsfirma und den LAK arbeitsvertragliche Rechte und Pflichten. Allerdings obliegen, aufgrund der Übertragung des Weisungsrechtes, auch dem entleihenden Unternehmen als faktischer Arbeitgeber Direktionsrechte im Zusammenhang mit der Ausführung der Tätigkeit (Ulber, 2015). Das Direktionsrecht des entleihenden Unternehmens erstreckt sich allerdings lediglich auf die im Arbeitnehmerüberlassungsvertrag genannten Tätigkeiten, auf die Dauer der Arbeitszeit sowie den Arbeitsort (Pollert; Ulber). Für alle anderen Tätigkeitsbereiche verbleibt das alleinige Direktionsrecht bei der Zeitarbeitsfirma (Pollert).
Dies zieht einige, vom regulären Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Verhältnis abweichende, arbeitsrechtliche Konsequenzen nach sich. Zwar sind die LAK aufgrund des Arbeitsvertrags mit der Zeitarbeitsfirma deren Mitarbeitende, allerdings erbringen sie ihre Leistung in einem anderen Unternehmen, nämlich in dem entleihenden Betrieb. Aufgrund dieser besonderen Situation ergeben sich einige Schwierigkeiten in der Umsetzung der arbeitsvertraglichen Pflichten. Neben organisatorischen Hürden seitens des verleihenden Unternehmens, wie bspw. der Gefährdungsbeurteilung des Arbeitsplatzes, ergeben sich auch soziale Problemstellungen. Ständig wechselnde Einsatzunternehmen (Bornewasser, 2013; Schröder, 2010) verlangen von LAK eine permanente Anpassung an die neuen KollegInnen, sowie an die jeweilige Arbeitsaufgabe (Breitscheidel, 2010; Schröder, 2010). Neben dieser Belastung kommt es auch immer wieder seitens der Stammbelegschaft zu sozialen Ausgrenzung gegenüber den LAK (Bolder, Naevecke & Schulte, 2005; Breitscheidel, 2010; Thiel, 2016).
Zwar wurde mithilfe des §13 b AÜG bereits eine Vielzahl von Gleichstellungsmaßnahmen geschaffen, jedoch existieren noch immer große Defizite in der Umsetzung einer umfassenden und vor allem sozialen Eingliederung (Breitscheidel, 2010). Um die Problematik der oftmals fehlenden Integration von LAK zu verstehen, ist es notwendig, die jeweiligen Zuständigkeiten, Rechte und Pflichten aller Beteiligten zu kennen.
1.2.2 Rechte und Pflichten der Zeitarbeitsfirmen
Die Zeitarbeitsfirmen nehmen in der ANÜ aufgrund des Dreiecksverhältnisses eine Schlüsselposition ein. Als Arbeitgeber für LAK einerseits und als Dienstleistungsunternehmen für die Entleihunternehmen andererseits, stellen sie eine Schnittstelle in diesem Vertragsverhältnis dar und müssen zusätzlich zu den Arbeitgeberpflichten auch die Pflichten einer Dienstleistungsfirma erfüllen (Gutmann & Kilian, 2013).
Da Zeitarbeitsfirmen als Vertragsarbeitgeber für die LAK agieren, sind sie für die Einhaltung der allgemeinen Arbeitgeberpflichten, wie bspw. dem Zahlen der Vergütung, dem Genehmigen von Urlaub, sowie der Zeugniserstellungspflicht verantwortlich (Ulber, 2015). Dass die Mitarbeitenden ihre Leistung nicht in der Betriebsorganisation des faktischen Arbeitgebers erbringen, ist dabei unerheblich (Ulber). Da der Fokus der vorliegenden Masterarbeit auf den Besonderheiten der arbeitsvertraglichen Verpflichtungen des Arbeitgebers im Rahmen der ANÜ liegt, soll an dieser Stelle auf die allgemeinen Arbeitgeberpflichten, wie bspw. Lohnzahlungs- und Zeugniserstellungspflicht, nicht näher eingegangen werden. Vielmehr sollen die Besonderheiten der arbeitsvertraglichen Verpflichtungen im Rahmen der ANÜ herausgearbeitet und dargestellt werden.
Da die Zeitarbeitsfirmen auf die vorherrschenden Bedingungen in der Betriebsorganisation des Einsatzunternehmens keinen direkten Einfluss haben, sind sie verpflichtet, eine Beurteilung des Arbeitsplatzes durchzuführen, um § 5 Abs. 1 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) gerecht zu werden. Dazu muss der Einsatzort der LAK auf mögliche Gefahren hin kontrolliert, sowie gemäß § 12 Abs. 2 ArbSchG eine entsprechende Sicherheitsunterweisung durchgeführt werden. Ergänzend dazu wird auch die persönliche Schutzausrüstung im Regelfall durch die Zeitarbeitsfirma gestellt (Thiel, 2016), sofern im Arbeitnehmerüberlassungsvertrag keine abweichenden Regelungen getroffen wurden (Dreyer, 2009). Die in kurzer Zeit häufig wechselnden Einsatzbetriebe (Schäfer, 2009) und damit einhergehend die veränderten Tätigkeiten, stellen eine Besonderheit der ANÜ dar, die es zu berücksichtigen gilt. Neben den Sicherheitsunterweisungen müssen gemäß § 3 der Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge auch die sogenannten Grundsatz – Untersuchungen immer wieder an die neuen Einsatzorte der Mitarbeitenden angepasst werden. Doch auch das entleihende Unternehmen ist für den Arbeitsschutz der LAK verantwortlich. In § 11 Abs. 6 AÜG ist geregelt, dass LAK über Gefahren, die sich aus ihrem Arbeitsbereich heraus ergeben, durch das entleihende Unternehmen informiert und unterwiesen werden muss. Trotz dieser ergänzenden Regelung verbleibt der Großteil der Verantwortung bezüglich des Arbeitsschutzes bei der Zeitarbeitsfirma. Abschließend lässt sich somit festhalten, dass die Arbeitsschutzpflichten der Zeitarbeitsfirma nur geringfügig von den regulären Arbeitgeberpflichten eines Normalarbeitsverhältnisses abweichen. Dennoch besteht bei dieser Beschäftigungsform ein erhöhtes Gefahrenpotential, da die Verantwortlichkeiten zwischen den beiden Unternehmen nicht trennscharf sind. Daher hat der Gesetzgeber für eine beiderseitige Zuständigkeit im Bereich des Arbeitsschutzes, sowie der Unabdingbarkeit dieser Pflichten seitens der Zeitarbeitsfirma, gesorgt. Die Unabdingbarkeit der Fürsorgepflichten wird in § 619 BGB geregelt. Damit haben die Zeitarbeitsfirmen keine Möglichkeit, die Fürsorgepflicht, auch nicht teilweise, auf das entleihende Unternehmen zu übertragen. Die Einhaltung der Fürsorgepflicht durch die Zeitarbeitsfirma stellt somit eine Besonderheit der ANÜ dar, da von ihr dieselben Pflichten verlangt werden, die ein Arbeitgeber für seine Stammbelegschaft erfüllen muss.
Zusätzlich zur Fürsorgepflicht trägt die Zeitarbeitsfirma gemäß § 1 Abs. 2 AÜG auch das Arbeitgeberrisiko. Entscheidend bei der Zuweisung des Arbeitgeberrisikos ist, welcher Vertragspartner das Risiko übernimmt, die LAK während der einsatzfreien Zeiten zu vergüten (Pollert, 2011). Diese Funktion ist besonders in der ANÜ von großer Bedeutung (Gutmann & Kilian, 2013), da die Zeitarbeitsfirmen als Personalzulieferer erst sehr spät über ausschlaggebende Entscheidungen der Entleihbetriebe informiert werden. Oftmals wird nur die Information, ob Personal auf- oder abgebaut werden soll, an die Zeitarbeitsfirmen weitergegeben. Dadurch werden die Auftragsschwankungen als extrem kurzfristig erlebt, was die Möglichkeiten, auf diese Situation mit geeigneten Arbeitszeitmodellen zu reagieren, enorm einschränkt. Aus diesem Grund sind Personaldienstleister von den entleihenden Firmen abhängig und haben nur einen minimalen Spielraum, um auf die gegenwärtige Auftragslage zu reagieren (Schröder, 2010). Dieser sog. „Bullwhip-Effekt“ (Lee, Padmanabhan & Whang, 1997) führt dazu, dass Zeitarbeitsfirmen einer sehr dynamischen Auftragsplanung unterworfen sind. Um die Aufträge dennoch bestmöglich zu erfüllen, nutzen sie angelegte Personalpools, sowie das Instrument des Arbeitszeitkontos in großem Umfang (Breitscheidel, 2010). Doch nicht immer kann eine flexible Personalplanung die Schwankungen der Entleihbetriebe ausgleichen. Oftmals werden LAK durch den Einsatzbetrieb kurzfristig abbestellt oder ein geplanter mehrmonatiger Einsatz wird bereits nach wenigen Tagen beendet (Breitscheidel). Das Risiko dieser hochgradigen Flexibilität trägt dabei die Zeitarbeitsfirma. Aufgrund des Arbeitgeberrisikos, ist sie verpflichtet, für die LAK eine neue Einsatzmöglichkeit, entsprechend ihrer im Arbeitsvertrag festgelegten Tätigkeiten, zu finden. Gelingt dies nicht, ist das verleihende Unternehmen verpflichtet, den LAK die einsatzfreie Zeit zu vergüten (Pollert, 2011). Nach einem Urteil des Landesarbeitsgerichtes Berlin-Brandenburg wurde die bis dahin gängige Praxis, die durch einsatzfreie Zeiten entstehenden Minusstunden mit den Plusstunden der LAK zu verrechnen als unzulässig erachtet (Haufe Online Redaktion, 2015; Schröder, 2010). Bei einem solchen Vorgehen würde das Unternehmerrisiko auf die LAK verlagert (Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, 2014; Schröder). Somit besitzt das Arbeitgeberrisiko daher in der ANÜ einen besonderen Stellenwert. Neben dem Arbeitgeberrisiko hat die Zeitarbeitsfirma gemäß § 11 Abs. 2 AÜG zudem die Pflicht, bei Vertragsabschluss ein Merkblatt der Agentur für Arbeit auszuhändigen. In diesem Merkblatt sind die Rechte und Pflichten der Akteure der ANÜ zusammengefasst.
Abschließend ist die Gleichbehandlung gemäß § 75 Abs.1 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) zu nennen, die jedem Mitarbeitenden das Recht auf Gleichbehandlung einräumt. Dieser Grundsatz ist in der ANÜ ungleich schwieriger umzusetzen, als in anderen Beschäftigungsformen. Die ständigen wechselnden Einsatzorte der LAK (Breitscheidel, 2010; Schäfer, 2009), sowie die damit verbundenen wechselnden Tätigkeiten, erschweren eine Gleichbehandlung nicht nur im Entleihbetrieb, sondern auch innerhalb der Zeitarbeitsfirma. Denn aufgrund des dynamischen Personaleinsatzes ist es nicht immer einfach, den Gleichbehandlungsgrundsatz einzuhalten (Thiel, 2016; Ulber, 2015). So führt auch die permanent einseitige Vergabe bestimmter Einsätze an ausgewählte Arbeitnehmendengruppen zur Benachteiligung der Mitarbeitenden. So werden LAK, die über ein Auto verfügen, tendenziell häufiger an weit entfernte Kundenunternehmen entliehen, als dies bei nicht motorisierten Arbeitnehmenden der Fall ist (Breitscheidel, 2010). Parallel zu diesem Vorgehen werden oftmals auch die Verrichtung einseitiger Tätigkeiten, bspw. schwerer körperlicher Arbeit, einseitig auf die Mitarbeitenden verteilt (Ulber, 2015). Dies führt dazu, dass diese LAK oftmals über einen langen Zeitraum einer konstant höheren Belastung ausgesetzt sind, als ihre KollegInnen. Hierbei handelt sich gemäß § 75 Abs.1 BetrVG um eine Ungleichbehandlung. Doch nicht nur die Behandlung in den Verleihbetrieben stellt ein Problem dar. Auch die Gleichbehandlung der LAK in entleihenden Unternehmen stößt immer wieder an Grenzen. Da die Disponenten der Zeitarbeitsfirmen nicht ständig bei den eingesetzten LAK vor Ort sein können (Thiel, 2016), ergeben sich Schwierigkeiten in der Kontrolle der Umsetzung der Gleichbehandlung. Melden nicht die betroffenen LAK selbst Probleme im Entleihbetrieb, ist es für die Personaldisponenten sehr schwer, Ungleichbehandlungen zu erkennen und rechtzeitig gegenzusteuern, da sie nicht regelmäßig, bzw. zum Teil gar nicht vor Ort sind (Thiel, 2016).
Die Zeitarbeitsfirmen haben jedoch nicht nur gegenüber den LAK Pflichten zu erfüllen. Als Dienstleister ist das Unternehmen auch seinen Kunden gegenüber verpflichtet. Die Hauptpflicht liegt hierbei in der Bereitstellung von Arbeitskräften. Die Besonderheit dieser Lieferantenbeziehung zeichnet sich durch das „gelieferte Produkt“, nämlich die Mitarbeitenden, aus. Damit unterscheiden sich die Anforderungen, die der Kunde an den Personaldienstleister stellt, enorm zu denen eines Produktlieferanten. Aufgrund des Überlassungsvertrages verpflichtet sich die Zeitarbeitsfirma, ihre Angestellten dem Entleihbetrieb zur Verfügung zu stellen. In der Regel ist der Vertragsgegenstand hierbei kein bestimmter Mitarbeitender. Festgelegt werden stattdessen die Anforderungen, die die LAK erfüllen muss (Pollert, 2011). Doch obwohl in den Überlassungsverträgen die benötigten Qualifikationen klar definiert sind, führt doch jeder Mensch die ihm übertragenen Aufgaben anders aus. Hieraus ergibt sich das Kernproblem der ANÜ: Menschen werden wie Waren bestellt und geliefert (Breitscheidel, 2010). Die entleihenden Unternehmen erwarten, dass die LAK, die als Ersatz für einen ausgefallenen Stammmitarbeitenden kommen, die Arbeit exakt so erledigt wie ihre Vorgänger (Thiel, 2016). Demnach ist die Zeitarbeitsfirma zur Ersatzleistung verpflichtet, wenn die LAK nicht die identische Leistung erbringen. Dabei ist unerheblich, ob sie den Grund für die Nichtleistung zu verantworten hat (Pollert, 2011). Hervorzuheben ist jedoch, dass die Zeitarbeitsfirma zwar für die sog. „Schlechtleistung“ haftbar gemacht werden kann, jedoch nur im Rahmen der fachlichen und persönlichen Eignung der zur Verfügung gestellten LAK. Für die Erbringung der Arbeitsleistung als solche kann das verleihende Unternehmen hingegen nicht haftbar gemacht werden (Gutmann & Kilian, 2013).
Darüber hinaus ist die Zeitarbeitsfirma außerdem zur Einhaltung bestimmter Mitteilungs- und Meldepflichten gegenüber dem Entleihunternehmen verpflichtet. Demnach muss das verleihende Unternehmen das Einsatzunternehmen umgehend darüber informieren, wenn die Erlaubnis zur gewerbsmäßigen ANÜ ihre Gültigkeit verliert, bspw. durch Entziehung oder Nicht-Verlängerung (Pollert, 2011).
Zusätzlich zu den genannten Pflichten verfügen die Zeitarbeitsfirmen auch über Rechte, wie bspw. dem Direktionsrecht gegenüber ihren Mitarbeitenden. Da dieses Weisungsrecht in der ANÜ zwischen der Zeitarbeitsfirma und dem Entleihbetrieb aufgespalten ist, unterliegt das Weisungsrecht des Einsatzbetriebes immer dem ursprünglichen Weisungsrecht der Zeitarbeitsfirma (Ulber, 2015). Demnach besitzt die Zeitarbeitsfirma ein übergeordnetes Weisungsrecht gegenüber den LAK. Weitere Rechte ergeben sich aus der vertraglichen Beziehung zu dem Einsatzbetrieb. Entsteht bspw. ein Zahlungsrückstand seitens des Einsatzbetriebs, so besitzt die Zeitarbeitsfirma ein Zurückbehaltungsrecht (Pollert, 2011). Dieses äußert sich in der Einbehaltung der LAK. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass die LAK in diesem Fall zwar nicht arbeiten, allerdings entstehen aufgrund der Lohnfortzahlung dennoch Kosten seitens der Zeitarbeitsfirma (Pollert). Des Weiteren kann der Kunde die benötigten LAK jederzeit bei einem anderen Zeitarbeitsunternehmen anfordern. Damit verfügt das Zurückbehaltungsrecht in der ANÜ lediglich über eine geringe Wirkung. Ein weiteres Recht der Zeitarbeitsfirma besteht in der vorzeitigen Kündigung des Arbeitnehmerüberlassungsvertrages. Die Voraussetzung hierfür ist die nachhaltige Nicht-Erfüllung der Pflichten seitens des Entleihunternehmens. Abschließend lässt sich somit festhalten, dass die Zeitarbeitsfirma über umfangreiche Pflichten verfügt, während sich ihre Rechte gegenüber den Entleihunternehmen vordergründig aus deren Nichteinhaltung der abgeschlossenen Verträge ergeben.
- Ende des Auszugs der Masterthesis -
*Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in der Webversion auf die gleichzeitige Verwendung der Sprachformen männlich, weiblich und divers (m/w/d) verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für alle Geschlechter.